Christine Wenzl: “Wir müssen uns vom Wirtschaftswachstum verabschieden”

Freitag, 28. August 2020 | Autor: Joachim Berner

Christine Wenzel Christine Wenzel Seit 22. August leben wir auf Pump. Das Global Footprint Network hat berechnet, dass die Menschheit seitdem alle Ressourcen aufgebraucht hat, die unser Planet innerhalb eines Jahres regenerieren. Was das bedeutet, erläutert Christine Wenzl vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Interview.

Frau Wenzl, was bedeutet der Erdüberlastung konkret?
Erdüberlastung bedeutet, dass wir die Ressourcen, die uns für ein Jahr zur Verfügung stünden, die sich innerhalb eines Jahres erneuern lassen, viel zu schnell verbrauchen. Das betrifft vor allem Acker- und Weideland, das betrifft Wälder, Fischgründe und das betrifft vor allen Dingen das Kohlendioxid, das wir in die Luft blasen und das die Atmosphäre in diesem Maße gar nicht aufnehmen kann. Das macht in den Industrieländern den größten Teil aus, nämlich 60 Prozent des Ganzen.

Was genehmigen wir uns, obwohl wir es uns eigentlich nicht leisten können?
Was wir uns in Deutschland definitiv nicht leisten können, ist unser viel zu hoher Energieverbrauch. Dazu zählt der Energie- und Stromverbrauch selbst, dazu zählt maßgeblich der Verkehr, der einzige Bereich, in dem die CO2-Emissionen seit 1990 nicht zurückgegangen sind. Das ist zudem unsere industrielle Landwirtschaft und unser Umgang mit den Böden.

Welche Konsequenzen hat unser überzogener Lebensstil?
Die Konsequenzen sind weltweit zu beobachten: Dürren, Überschwemmungen, verschwindende Ökosystemen wie dem Great Barrier-Riff, das uns für immer verloren zu gehen droht, brennende Wälder in Sibirien, die sich gar nicht mehr löschen ließen. Die Folgen zeigen sich auch in Deutschland, wo etwa die Dürre in Brandenburg dazu führt, dass Flüsse nicht mehr den erforderlichen Pegelstand haben, dass Seen wie in den Bergbaufolgelandschaften nicht mehr wie vorgesehen geflutet werden können und dass die Landwirtschaft ernsthafte Einbußen in ihren Erträgen hat. Wir müssen dringend gegensteuern.

Wie?
Damit unser Konto nicht ins Minus rutscht, müssen wir uns vor allem vom Wirtschaftswachstum verabschieden beziehungsweise davon, das Wirtschaftswachstum als oberste Priorität in der Politik zu behandeln. Die oberste Priorität muss vielmehr sein, dass wir weniger Ressourcen verbrauchen, und zwar deutlich weniger: Weniger Energie, weniger Fläche, weniger Material. Und, dass wir es zur politischen obersten Priorität machen, dass wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Und zwar hier und weltweit.”

Was kann jeder Einzelne in Deutschland beitragen?
Umsteigen vom Pkw in der Stadt aufs Fahrrad, auf Bus und Bahn. Umsteigen auf regionale und saisonale und Bio-Lebensmittel. Und umsteigen auch in puncto verreisen, mit Reisen in der Region anstatt in die Ferne. Die Politik kann dafür ganz Wesentliches beitragen, indem sie die Rahmenbedingungen schafft.

Der Erdüberlastungstag wird jedes Jahr neu berechnet. Lässt sich eine Entwicklung ablesen?
Der Erdüberlastungstag ist jedes Jahr wieder ein paar Tage nach vorne gerutscht. Das ist eine Entwicklung, die wir mit großer Sorge betrachten. Das ist, wie wenn ich eine Vorratskammer für ein ganzes Jahr fülle und dann sind die Vorräte einfach Mitte August schon aufgebraucht. Sie sollten aber ja bis Ende des Jahres reichen. Dieses Jahr haben wir eine besondere Situation aufgrund der Corona-Krise. Die drei Monate nahezu Stillstand weltweit haben zu deutlich weniger Ressourcenverbrauch geführt. Das macht sich bei den Berechnungen zum Erdüberlastungstag bemerkbar. Der ist dieses Jahr gut drei Wochen später als noch vergangenes Jahr. Vom BUND sind wir aber überzeugt: Wir wollen und können die Erde nicht aus einer Krise heraus retten, sondern es geht um einen positiven Politikansatz, der ganz klar in Richtung weg vom Wirtschaftswachstum, hin zum Erhalt unserer natürlichen Ressourcen geht. Es ist auch wirklich wichtig, dass wir diesen Weg nun mutig voranschreiten. Denn sonst wird der Erdüberlastungstag nächstes Jahr schon wieder weit, weit nach vorne rutschen und diese Tendenz der vergangenen Jahre wird fortgesetzt.

Weitere Informationen: www.footprintnetwork.org

Das Interview hat der BUND zur Verfügung gestellt. Es wurde von der Pelletshome-Redaktion bearbeitet.

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