Am Klima-Aktionsgipfel der Vereinten Nationen in New York hat Professor Detlef Stammer am vorletzten Septemberwochenende als Sprecher des Exzellenzclusters “Climate, Climatic Change, and Society (CliCCS)” teilgenommen. Im Interview erklärt der Leiter der Klimaforschung an der Universität Hamburg, warum ihn die Bewegung “Fridays for Future” überrascht, warum er mehr Forschung zur Rückholung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre fordert und gleichzeitig vor Eingriffen in das Klimasystem warnt.
Maximal zwei Grad Celsius lautet das Ziel des Pariser Abkommens. Können wir das noch erreichen?
Der Ausstoß von Treibhausgasen wurde seit 2015 nicht wirklich gesenkt. Deswegen steuern wir derzeit eher auf eine vier Grad wärmere Welt zu. Wenn wir einen so starken Anstieg der mittleren globalen Temperaturen noch verhindern wollen, müssen wir in wenigen Jahrzehnten zu einer Netto-Null-Emissionsgesellschaft werden – also zu einer Gesellschaft, die kontinuierlich ebenso viele Treibhausgase aus der Atmosphäre herauszieht wie sie produziert. Das ist eine Revolution, ebenso umfassend wie die Industrielle Revolution. Es ist es nicht damit getan, etwas weniger Fleisch zu essen oder mal auf eine Autofahrt zu verzichten. Wir müssen unser gesamtes Konsumverhalten ändern und zu einem ganz neuen Lebensstil kommen.
Seit gut einem Jahr demonstrieren Schülerinnen und Schüler weltweit jeden Freitag für den Klimaschutz. Hat Sie die Entstehung der Bewegung überrascht?
Ja. Die Fakten über den Klimawandel sind seit Jahrzehnten bekannt. Spätestens seit 1972, als die weltweit führenden Wissenschaftler im sogenannten Charney Report dokumentiert haben, dass sich mit erhöhtem Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre die Temperaturen erhöht haben. Wie das funktioniert, wissen wir sogar noch länger: Der schwedische Chemiker Svante Arrhenius hat schon vor 100 Jahren berechnet, wie ein steigender Gehalt an Kohlendioxid in der Atmosphäre die Wärmebilanz der Erde ändert. In meiner Ausbildung als Ozeanograf war die Erderwärmung immer ein Thema. Nur die Öffentlichkeit hat es bis jetzt nicht interessiert. Deswegen überrascht mich, dass nun so viele Schülerinnen und Schüler so kontinuierlich auf die Straße gehen.
Empfinden Sie Sympathie für Fridays for Future?
Absolut. Diese Generation wird stark vom Klimawandel betroffen sein. Deswegen ist es richtig, dass sie protestiert.
Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, dort hinzugehen?
Ja, das würde ich. Allerdings sind sie nicht mehr in dem entsprechenden Alter.
Und Sie selbst?
Ich bin auf einer Demonstration gewesen, finde aber, das ist eher eine Sache für junge Leute. Anders verhält es sich mit der Aktion “Scientists for Future”. Da unterstützen Forschende die Forderungen der Schülerinnen und Schüler mit wissenschaftlichen Argumenten. Sobald ich davon gehört habe, war vollkommen klar, dass ich unterschreibe – wie 26.000 Kolleginnen und Kollegen.
Welche Rolle spielt die Wissenschaft im Kampf gegen den Klimawandel?
Ich glaube, dass wir den Kampf gegen den Klimawandel nicht ohne sogenannte negative Emissionen führen können. Das bedeutet, dass wir das Kohlendioxid, das wir erzeugt haben, wieder aus der Atmosphäre rausziehen. Man kann es beispielsweise verflüssigen und in den Boden zurückpumpen. Oder sogar in den Energiehaushalt der Erde eingreifen. Das nennt man Geoengineering. Dazu müssen wir forschen, und zwar sehr, sehr schnell. Denn ich fürchte, dass wir nicht allein aus einer gesellschaftlichen Transformation heraus in naher Zukunft zu einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft werden.
Für wie sicher halten Sie Geoengineering?
Es gibt beispielswiese Überlegungen, das biologische Wachstum in den Ozeanen anzuregen, damit sie zukünftig mehr Kohlendioxid aufnehmen können. Oder kleine Partikel in der Atmosphäre freizusetzen, die einen Teil der solaren Strahlung reflektieren und gar nicht erst zur Erde durchlassen. Das Problem ist aber, dass wir bislang nicht wissen, was die langfristigen Effekte wären oder wie sich solche Maßnahmen lokal auswirken würden. Wir können nicht abschätzen, ob wir das gesamte Klimasystem der Erde ins Kippen bringen könnten. Wir denken vielleicht, wir können mal eben die Sonnenstrahlung reduzieren und die Dynamik des Erdsystems kontrollieren wie aus einem Schaltraum. Aber wir haben kein Verständnis dafür, was wir da tun.
Jetzt drängt die Zeit. Woran liegt es, dass im Klimaschutz bis heute so wenig passiert ist?
Darauf habe ich keine Antwort. Wir forschen zu dieser Frage in unserem Exzellenzcluster “Climate, Climatic Chance, and Society (CliCCS)”. Ich vermute, dass es immer noch Klimaskeptiker gibt, weil sie Angst vor den andernfalls notwendigen Konsequenzen haben. In Deutschland sagen wir beispielsweise seit Jahren, dass Braunkohlekraftwerke wirklich das Schlimmste sind, was es gibt. Trotzdem wird erst jetzt überlegt, sie abzuschalten. Politiker betonen stets, wie viele Jobs da dran hängen. Sie verfolgen kurzfristige wirtschaftliche Ziele. Erst jetzt beginnen sie, den Klimawandel ernst zu nehmen.
Muss nur die Politik etwas tun? Oder liegt die Verantwortung auch bei jedem Einzelnen?
Der Klimawandel geht uns alle an und wir müssen alle etwas tun. Insofern sehe ich es auch positiv, dass im Moment auf der lokalen Ebene vielerorts mehr getan wird als auf der großen politischen Bühne. Wir sehen jetzt beispielsweise Städte, die ihre Braunkohlekraftwerke abschalten, die diese Energie nicht mehr wollen. Dazu brauche ich die Bundeskanzlerin nicht. Die notwendige Transformation der Gesellschaft wird nicht nur von oben nach unten gehen, sie muss auch von unten nach oben gehen.
Das Interview hat die Universität Hamburg zur Verfügung gestellt. Es wurde von der Pelletshome-Redaktion bearbeitet.