Gregor Hagedorn: “Wir benötigen angemessenes Handeln”

Dienstag, 10. September 2019 | Autor: Joachim Berner

Gregor Hagedorn Gregor Hagedorn Der Berliner Wissenschaftler Gregor Hagedorn hat mit einer Gruppe befreundeter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Februar die Initiative Scientists for Future initiiert. Fast 27.000 Kolleginnen und Kollegen haben eine Stellungnahme unterzeichnet, mit der sie die fachliche Korrektheit der Annahmen hinter den Klimaprotesten von Fridays for Future bestätigen. Im Interview erklärt Hagedorn, warum er die Wissenschaftsinitiative angestoßen hat und wie es mit ihr weitergeht.

Herr Hagedorn, wie ist es zu dem öffentlichen Statement der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gekommen, in dem sie das Anliegen der Schülerinnenbewegung Fridays for Future als berechtigt und gut begründet bezeichnen?
Das Statement ist eine Reaktion auf die engagierten jungen Menschen und ihre Verunglimpfung in der öffentlichen Diskussion. Ihre Inhalte und faktenbasierten Forderungen wurden Anfang des Jahres in der öffentlichen Diskussion zur Seite gedrängt durch persönliche Angriffe oder weil die Diskussion sich darauf konzentrierte, ob es legitim ist, während der Schulzeit zu streiken. Das hat die von den Jugendlichen geführte Diskussion über die Klimakrise und die Handlungsnotwendigkeiten nach jahrzehntelangem Nichthandeln überdeckt. In meinem wissenschaftlichen Freundeskreis kamen wir zu dem Schluss, dass wir als Wissenschaftler eine Verantwortung dafür haben, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bekräftigen – und damit den jungen Menschen den Rücken zu stärken. Für einzelne von uns kristallisierte sich dabei heraus, dass diese Verantwortung auch bedeutet, entsprechend Zeit zu investieren und sich letztlich gesellschaftlich zu exponieren.

Sehen sich die Scientists for Future vor allem als wissenschaftliche Unterstützer der jugendlichen Protestierer oder als eigenständige Initiative?
Scientists for Future ist eine eigenständige Initiative. Wir haben unsere Stellungnahme zunächst völlig unabhängig entwickelt. Wir haben sie ihnen dann aber vorab zugeschickt, da sich auch uns die Frage stellte: Wollt ihr das überhaupt oder ist das Einmischung? Sie wollten und so waren dann auch ihre Vertreter Luisa Neubauer und Jakob Blasel von Fridays for Future bei unserer Pressekonferenz dabei und haben Fragen beantwortet. Letztlich sehen wir sehen uns als ehrenamtliche wissenschaftliche Beratungsinitiative für verschiedene gesellschaftliche Bewegungen, die sich um Fragen der Generationengerechtigkeit kümmern.

Wie kann man sich Scientists for Future vorstellen? Handelt es sich um einen losen Zusammenschluss oder gibt es Gremien, die Inhalte und Ziele klären?
Scientists for Future war ursprünglich als einmalige Initiative geplant. Dann haben wir aber bei der Vorstellung der Stellungnahme einen großen Erfolg erzielt und ein riesiges Medienecho bekommen. Zunehmend wurde klar, dass es weiteren und breiteren Bedarf gibt. Im Moment sind wir aber weiter eine reine Graswurzelinitiative.

Wie geht es weiter?
Es haben sich viele Regionalgruppen gegründet. Außerdem gibt es Koordinationsgruppen und thematische Arbeitsgruppen. So erarbeitet eine Gruppe beispielsweise Vorträge, die den Stand der Wissenschaft zu Klima- und Energiethemen für verschiedene Zielgruppen darstellen. Eine andere Gruppe überprüft Fakten, Behauptungen oder Annahmen. Ich möchte auch hier gerne aufrufen: Wenn jemand eine Regionalgruppe gründen will oder andere Ideen hat, sind Sie herzlich willkommen. Wir arbeiten auch gerade daran, einen Beirat einzurichten. Aber es ist alles in der Entwicklung, es handelt sich noch nicht um festgezurrte Strukturen.

Fridays for Future hat einen Forderungskatalog veröffentlicht. Gibt es von Ihrer Seite festgeschriebene Ziele, mit der sie sich an die Öffentlichkeit richten?
Als Scientist for Future sehen wir die Aufgabe von Wissenschaft nicht darin, einen politischen Forderungskatalog aufzustellen. Wenn wir die Politik zum Handeln auffordern, wissenschaftliche Stimmen zu hören und die Herausforderung ernst zu nehmen, ist dies natürlich auch eine Forderung. Aber einen konkreten Forderungskatalog haben wir nicht. Wir können politische Kräfte in Bezug auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bestimmten Forderungen beraten. Entscheidungen werden aber nicht in der Wissenschaft, sondern im politischen Raum getroffen – natürlich möglichst unter Berücksichtigung sowohl der wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch der gesellschaftlicher Werte.

Wie schätzen Sie die gesellschaftspolitische Bedeutung von Fridays for Future ein?
Ich finde, dass die streikenden Schülerinnen und Schüler beziehungsweise die jungen Menschen – es sind ja auch viele Studierende dabei – in der öffentlichen Diskussion sehr viel bewegt haben. Sie haben einen Deckel von der wissenschaftlichen und medialen Debatte gelüftet. Der Rahmen der Diskussion hat sich dadurch verschoben. Wir reden nicht mehr über anonyme kommende Generationen, denen wir mit unserem derzeitigen Lebensstil ihren Existenzrahmen einengen, sondern über konkrete Gesichter. Und diese Gesichter sagen: „Das bin ich, auf dessen/deren Kosten ihr gerade verantwortungslos lebt.“ Dieser Wandel in der Rahmung der Zukunftsdiskussion und der Verantwortung für unser Handeln ist inzwischen relativ tief in die öffentliche Diskussion gedrungen. Das ist ein Riesenerfolg dieser Bewegung. Aber es muss mehr kommen. Es reicht nicht, zu diskutieren. Es reicht noch nicht einmal, einen Notfall auszurufen. Es gibt Aussagen von Politikern, dass die Schülerinnen und Schüler jetzt aufhören sollten zu streiken, weil sie schon so viel erreicht hätten und die Problematik jetzt ja diskutiert würde. Aber genau das ist nicht das Kriterium. Das Kriterium ist, ob gehandelt wird. Bisher handelt die Politik nicht.

Stattdessen werden die protestierenden Schülerinnen und Schülern von konservativer Seite als Schulschwänzer diffamiert. Was entgegnen Sie?
Ich finde die jungen Menschen sagen völlig logisch: Eigentlich sind nicht wir es, die streiken – es sind die Politiker, die streiken. Ich sehe das ähnlich. Es sind die Entscheidungsträger, die Wirtschaftsführer, die streiken und die sich vor ihrer Aufgabe drücken, das Nötige zur Zukunftssicherung zu tun. Greta Thunberg sagt, es bringe nichts, in der Schule wissenschaftliche Erkenntnisse zu lernen, wenn die Erwachsenengesellschaft genau diese Erkenntnisse komplett ignoriert. Auch dem kann ich nur zustimmen. Ich finde, Streiks sind eine legitime Form, für die eigene Zukunft zu kämpfen. Ebenso, wie es eine legitime Form ist, als Gewerkschafter für angemessene Löhne während der Arbeitszeit zu streiken und nicht nur eine Demonstration am Samstag zu machen.

Auf Ihrer Internetseite verweisen Sie auf Informationen, wie sich mit Klimawandelleugnern umgehen lässt. Was Sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Punkte?
Wir haben diese Informationen auf unserer Internetseite und das ist wichtig. Aber ich finde es gleichzeitig auch falsch, zu sehr auf diese Menschen einzugehen. Man sollte bei Diskussionen nicht auf diese Störer und auf ihre jenseits jeglichen wissenschaftlichen Konsensus stehenden Argumente eingehen. Wer über Geografie vorträgt, beginnt den Vortrag nicht damit, die Argumente der Flat-Earth-Anhänger zu widerlegen. Ja, es gibt Flat-Earther, die eine Heidenspaß haben, auf Youtube umfangreiche Beweise einzustellen, dass die Behauptung, die Erde sei eine Kugel, in Wirklichkeit ein ganz ausgefeiltes Betrugsmanöver sei. Auf genau derselben wissenschaftlichen Ebene agieren seit Langem die Klimawandelleugner. Man muss nach Jahrzehnten gezielter Desinformationskampagnen und enormer wissenschaftlicher Arbeit, diese zu widerlegen, ganz klar sagen, dass das keine legitime Diskussion ist. Das heißt nicht, dass man den IPCC-Report (das Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC, ist der wissenschaftliche Ausschuss für Klimaänderungen der Vereinten Nationen, die Red.) nicht im Detail wissenschaftlich hinterfragen und kritisieren kann. Wir müssen weiter wissenschaftlichen Fortschritt suchen, aber die Grundannahme, dass der Klimawandel menschengemacht ist und zu katastrophalen Auswirkungen führt, wenn wir weiter business as usual betrieben, ist so klar, wie die Erde eine Kugel ist.

Weitere Informationen: www.scientists4future.org

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