Ein selbst lernendes neuronales Netz zur Regelung von Heizungsanlagen hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (Fraunhofer ISE) entwickelt. Es kann Handlungsstrategien anhand von Trainingsdaten ersinnen. Wie es funktioniert, erklärt Abteilungsleiter Wolfgang Kramer.
Herr Kramer, wie kann man sich technisch ein neuronales Netz in einem Heizungsregler vorstellen?
Es handelt sich um eine Software-Lösung. Das neuronale Netz prognostiziert die zukünftige Raumtemperaturentwicklung und den Speicherladezustand. Die Informationen werden einem konventionellen Regler weitergegeben.
Wie funktioniert die Prognose?
Das neuronale Netz bekommt laufend Informationen aus dem realen Gebäude über Außentemperatur, Sonneneinstrahlung, Heizungsvorlauftemperatur, Uhrzeit, Datum. Diese Daten werden ständig ausgewertet und mit der tatsächlichen Raumtemperatur abgeglichen. Das System generiert mit diesen Daten eine Korrelation () zwischen diesen ganzen Eingabedaten und der Raumtemperatur. So weiß es nach einer gewissen Zeit, wie sich die Raumtemperatur bei bestimmten Randbedingungen entwickelt. Entsprechend kann der Regler die Heizung hoch- oder runterfahren.
Die Software merkt sich also bestimmte Korrelationen und kann darauf basierend künftige vorhersagen?
Genau. Sie bekommt zudem regelmäßig Daten aus der Wettervorhersage im Internet. Ein anderer wichtiger Punkt: Für die Frage, ob und wie sich ein Gebäude aufheizt, spielt der Sonnenstand eine große Rolle. Das wird über Uhrzeit und Datum abgebildet. Das System erkennt zum Beispiel, wenn es einen Baum gibt, der verschattet. Es merkt, wenn sich das Gebäude beispielsweise morgens um zehn Uhr nicht aufheizt, obwohl die Sonne scheint, es aber um zwölf Uhr im Gebäude plötzlich wärmer wird. Solche Dinge erkennt das System automatisch und kann dadurch die lokalen Bedingungen abbilden. Man muss nichts an der Regelung einstellen, weil das System selbständig lernt.
Die Regelung ermittelt laut Ihrer Pressemitteilung automatisch die individuell optimierte Heizkurve. Optimiert auf die Bewohner oder das Gebäude?
Es kommt darauf an, ob das System Informationen über Nutzer bekommt. Beispiel: Schalten sich regelmäßig mittags um zwölf Uhr der Herd und der Backofen ein und erhöht sich dadurch die Raumtemperatur, dann erkennt das System den Zusammenhang. Es weiß zwar nicht, warum, aber es sieht immer mittags um zwölf Uhr wird es wärmer. Das System ließe sich erweitern, indem man zum Beispiel Anwesenheitssensoren einbaut oder den Strombedarf misst. Dann könnte man tatsächlich die reale Anwesenheit von Personen berücksichtigen.
Die Software optimiert die Regelung der Heizungsanlage auf den Verbrauch hin?
Auf den Bedarf hin. Die normale Heizkurve ist im einfachsten Fall so eingestellt, dass sie die Vorlauftemperatur in der Heizungsanlage entsprechend der Außentemperatur regelt. Unser System macht an dieser Stelle noch viel mehr. Wenn zum Beispiel die Sonne scheint, weiß es, dass es bei einer bestimmten Außentemperatur eine geringere Vorlauftemperatur braucht und optimiert entsprechend. Der wesentliche Unterschied: Niemand muss die Heizkurve optimal einstellen, was in der Regel durch zeitaufwändiges Ausprobieren erfolgt. Das System macht das automatisch.
Wo und wie lange haben Sie die Software erprobt?
Das ganze System haben wir eineinhalb Jahre lang in einem realen Gebäude getestet. Damit haben wir den Nachweis erbracht, dass es unter realen Bedingungen funktioniert. Das ist noch kein Feldtest oder ein Validierungsnachweis für eine Kommerzialisierung, aber ein ganz guter Beleg für die prinzipielle Funktionstüchtigkeit.
Worin lag die besondere Herausforderung bei den Entwicklungsarbeiten?
Es gab viele Hürden und Herausforderungen. Wir sind an das Projekt gegangen, ohne sicher zu wissen, ob es unter realen Bedingungen funktioniert und Vorteile bringt. Ein wesentlicher Punkt ist natürlich, dass man bei so einem System mit Situationen rechnen muss, die nicht planbar sind. Heißt zum Beispiel, dass jemand ein Fenster öffnet. Das kann der Regler natürlich nicht prognostizieren. Von daher macht er natürlich Fehler. Die wesentliche Frage ist, ob er dennoch regeln kann oder Unsinn macht. In unserer Anwendung hat das plötzliche Öffnen eines Fensters jedoch kein Problem dargestellt.
Der Regler kann auf solche abrupten Zustandsänderungen reagieren?
Er reagiert. Er misst ja ständig nach, was in der Realität passiert und kann entsprechend korrigieren.
Wie marktreif ist der Regler?
Wir müssen sicher noch einen Feldtest mit mehr Anwendungen durchführen. Deswegen lässt sich ein Termin für die Markteinführung noch nicht nennen. Es gibt aber mehrere Industriefirmen, die Interesse am Produkt angemeldet haben.
Lässt sich dennoch schon sagen, um wie viel teurer ein Regler mit neuronalem Netz würde?
Zusätzliche Hardware benötigen wir nicht. Das heißt die Kosten entstehen lediglich durch die Implementierung in den Softwarecode eines Reglers. Das ist aber eine schwer abschätzbare Größe, die sich sicher je nach Hersteller unterscheidet. Am Ende hängen die Mehrkosten pro Regler aber im Wesentlichen davon ab, wie viel Regler abgesetzt werden. Die eigentlichen Herstellungskosten steigen nicht. Es stecken halt weitere Entwicklungskosten drin.
Wie geht es mit dem Projekt weiter?
Wir haben drei Industriepartner im Projekt beteiligt: Prozeda, Sorel und Steca. Mit ihnen werden wir sicher weiterarbeiten. Es gibt aber bereits weitere Anfragen. Jedes Unternehmen, das Interesse hat, kann sich gerne bei mir melden.